I. Die Stiftungsurkunde

Die Ephraim Veitel Stiftung, die wohl älteste jüdische Stiftung in Deutschland, die seit ihrer Begründung 1799 und ihrem Wirksamwerden 1803 ununterbrochen bis heute besteht, hat eine wechselvolle Geschichte – die ausführlich in dem von der Stiftung geförderten Buch Die Stiftungen der preußisch-jüdischen Hofjuweliersfamilie Ephraim und ihre Spuren in der Gegenwart dokumentiert wird.

In seinem Testament vom 6. Februar 1799 – dessen Originalhandschrift bis heute im Landeshauptarchiv Brandenburg lagert – bestimmte Ephraim Veitel Ephraim, einer kabbalistischen Maßgabe folgend, genau »33.333 Reichsthaler und 8 Groschen Preuß. Courant« für eine wohltätige Stiftung, von deren jährlichen Kapitalerträgen fünf Sechstel jüdischen Zwecken und das letzte Sechstel der »Verpflegung armer Alter und Kranker von der herrschenden Nation« dienen sollten. Als »Exekutores« der Stiftung waren drei Männer, zwei von der jüdischen und einer von der »herrschenden« Nation vorgesehen. Das Testament betont eigens, dass das Vermögen der Stiftung nicht vermindert werden dürfe, was allerdings, vor allem in Folge des zweiten Weltkrieges nicht gelang.

Die Stiftungsurkunde regelte bis ins Detail die Verwendung der Erträge des Stiftungskapitals. Nach Abzug der Verwaltungskosten sollte der auszubezahlende Betrag in drei Teile geteilt werden: Ein Drittel war bestimmt für die Unterstützung des Studiums der Heiligen Schrift und des Talmud, insbesondere an der von Ephraims Vater, Veitel Heine, gestifteten Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt, für Lehrpersonal und Schüler, um diese in für das Talmudstudium »nützlichen Wissenschaften« zu unterrichten.

Das zweite Drittel der »Erträgnisse« war für die Pflege kranker armer alter Menschen aus der jüdischen und christlichen »Nation« bestimmt, was insonderheit durch die Finanzierung des jüdischen Krankenhauses in Berlin geschehen sollte.
Das letzte Drittel schließlich war der Aussteuer armer Mädchen aus der Familie des Stifters gewidmet.

Erste Seite der Stiftungsurkunde von 1799 mit der Unterschrift des Stifters (Brandenburgisches Landeshauptarchiv)
Letzte Seite der Stiftungsurkunde von 1799 mit der Unterschrift des Stifters (Brandenburgisches Landeshauptarchiv)

II. Die ersten hundert Jahre 1803-1903

Für die Geschichte der Stiftung in den Jahren von 1803 bis 1903 gibt es bisher nur sehr wenige Unterlagen. Allerdings scheint die Stiftung in diesen hundert Jahren im Sinne des Stifters in soliden Verhältnissen verwaltet worden zu sein. Bekannt sind eine Reihe von Namen der Kuratoren, z. B. Louis Liepmann, Rudolf Magnus, der Regierungsrat Heinrich Hertz, der Bankier und Industrielle Eugen Landau (1852-1935) und andere.

In dieser Zeit wurden, dem Testament von Ephraim Veitel Ephraim entsprechend, stattliche Beträge an die Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt vergeben. Beispielsweise wurden die Lehrer Lazarus Hurwitz und Philipp Biberfeld, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert an der Schule, damals Bet Hamidrasch genannt, unterrichteten, finanziell unterstützt. Auch die Bibliothek der Lehranstalt wurde großzügig bedacht. 1859 versetzte die Stiftung die Anstalt finanziell in die Lage, Leopold Zunz, den Begründer der Wissenschaft des Judentums, als Dozenten zu gewinnen. Auch die langjährige Lehrtätigkeit von Moritz Steinschneider, dem führenden Bibliographen jüdischer Literatur, an der Lehranstalt konnte sichergestellt werden. An die Ärzte des Jüdischen Krankenhauses wurden gemäß § 8 der Stiftungsurkunde ebenfalls Beträge ausgezahlt.

Aus den seit 1903 erhaltenen amtlichen Jahresberichten wird ersichtlich, dass dieser stabile Einnahme- und Ausgaberhythmus bis 1934 anhielt.

Stempel der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt
Leopold Zunz, Porträt
Moritz Steinschneider, vor 1908, unbekannter Fotograf, Herkunft Leo Baeck Institute Collection

III. Die »Arisierung« der Stiftung ab 1934

Mit der Machtergreifung der radikal antisemitischen Nationalsozialisten setzte eine politisch gesteuerte Veränderung der Ephraim Veitel Stiftung ein. Schon am 8. Februar 1934 beschloss das Kuratorium der Stiftung, unter der Leitung des Landgerichtsdirektors a. D Wilhelm Langerhans, den Namen des jüdischen Stifters aus dem Stiftungsnamen zu entfernen und sie fortan als »Stiftung von 1803« zu führen.

Bei der Sitzung des nächsten Jahres wurde auch der Kreis der möglichen Zuwendungsempfänger »arisiert«. Aus den empfangsberechtigten »jungen Leuten, die jüdische Theologie studieren«, wurden nunmehr »junge Leute, die in der Ausbildung begriffen sind«. Die staatliche Stiftungsaufsicht verlangte 1936 einen Bericht, inwieweit alle Bewilligungsempfänger arisch seien. Der damals noch amtierende Vorsitzende Langerhans antwortete: »Die Frage, wie weit unsere Schützlinge rein arisch sind, wird sich schwer beantworten lassen. Ich bitte, sich damit zu begnügen, dass anzugeben wird, wer ganz überwiegend arisch ist unter Berücksichtigung der Nürnberger Gesetze.« Zugleich tritt Langerhans unter äußerem Druck ab und ernennt im Jahre 1936 das SA Mitglied (seit 1933, ab 1937 NSDAP) Dr. Ralf Lohan zu seinem Nachfolger, der bis zu seinem Tod im Jahre 2000 Vorsitzender der Stiftung blieb.

1943 wurde der Stiftungszweck insgesamt neu formuliert: »Zweck der Stiftung ist die Verwendung der Zinsen zur Unterstützung deutscher armer und unterstützungswürdiger Frauen und Männer unter besonderer Berücksichtigung von jungen Leuten, die in der Ausbildung begriffen sind.« Ab diesem Zeitpunkt waren die ursprünglichen hauptbegünstigten jüdischen Bürger damit vollkommen ausgeschlossen, nachdem bereits in den Jahren davor diese Vergabepraxis verfolgt worden war, wie aus einem Aktenvermerk der Stiftungsaufsicht vom Mai 1939 hervorgeht:

Stiftung von 1903 (sic!). (ehem. Ephraim Veitel-Stift) Es erschien der Vorsitzende der Stiftung, Herr Dr. Lohan, und erklärte, daß die Nutznießer der Stiftung soweit ihm bekannt sei, keine Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze seien. Nähere Angaben werden von ihm vorgelegt werden. Gleichfalls machte Dr. Lohan die Mitteilung, daß der Vorstand der Stiftung den § 3 der Satzung dahingehend zu ändern beabsichtige, daß die Unterstützung ausschließlich deutschblütigen unterstützungswürdigen Frauen und Männern zugute kommen soll ohne Berücksichtigung der Personen die von den Eltern des Stifters Ephraim Veitel, abstammen.

Auch die jüdischen Kuratoren Rudolph Sobernheim und Dr. Rudolph Liepmann wurden sukzessive aus dem Stiftungsvorstand verdrängt. Stattdessen wurden folgende NSDAP und SA Mitglieder in den Vorstand berufen: Dr. Georg Anthes, Oberstleutnant a. D. Richard Bardt und Dr. Karl Pickert, N.S.R.B. Darum berichtete ein amtlicher Aktenvermerk aus dem Jahre 1939: »Da die Vorstandsmitglieder nach dem Ausscheiden von Dr. Rudolf Liepmann aus dem Vorstand der Stiftung und dem Beitritt des R.A. Dr. Karl Pickert deutschblütig sind, gilt die Stiftung nicht mehr als jüdisch. (§§ 6 u. 1 Abs. 3. Ziff. a der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 (RGBl. I, S.627). Berlin, am 17.4.39«

IV. Die versäumte Ent-Arisierung 1945-2000

Trotz mehrmaliger Aufforderung durch die Stiftungsaufsicht im Nachkriegsberlin hat es der seit 1936 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 amtierende Vorsitzende Dr. Ralf Lohan vereitelt, dass sowohl die Besetzung des Vorstandes wie auch die Satzung und damit auch die Benennung der Stiftung auf den Stand von vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten zurückgeführt wurden – Teil dieser Strategie war es wohl auch, den Sitz der Stiftung nach Bonn zu verlagern. Als Stiftungsvorsitzender hatte Lohan in den Nachkriegsjahren vom Stiftungskapital so viel wie möglich zu sichern vermocht. Jedoch blieb ein entscheidender Teil im Osten Berlins und damit in der DDR unzugänglich, so dass das gesicherte Kapital nicht ausreichte, um eine Stiftungstätigkeit wieder aufzunehmen. Erst mit der Wiedervereinigung wurde das Ostberliner Kapital, das von einem amtlich eingesetzten Notvorstand verwaltet worden war, aus den lange zuvor aufgelösten Hypotheken in bar wieder mit den im Westen liegenden Kapitalien vereint. Es bedurfte dann allerdings noch neuer Zustiftungen, um eine beschränkte Stiftungstätigkeit im Sinne der alten Satzung wieder aufzunehmen.

V. Die Neubelebung der Stiftung nach 2000

Der aus der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Stiftungen kommende Kurt Kreuser trat im Jahre 1988 als Vorstandsmitglied ein, 1995 war auch seine Frau, Inge Kreuser, hinzugekommen. Kurt Kreuser hat sogleich nach dem Tod des achtundneunzigjährigen, aus der Nazi-Zeit stammenden Vorsitzenden Lohan, endlich eine Rückänderung des Namens der Stiftung herbeigeführt: Nach dem damals bekannten Wissen wurde die Stiftung in »Ephraim Veitel Stiftung von 1803« umbenannt.
Aus unserer eigenen Forschungstätigkeit seit 2004 zutage getretene historische Erkenntnisse haben sodann im Zuge einer Satzungsnovellierung auch noch zur Streichung der Jahreszahl, dieses letzten Reliktes aus der Nazi-Zeit, und zur Rückkehr zum ursprünglichen Namen der Stiftung, Ephraim Veitel Stiftung, geführt.

Der seit 2000 amtierende Vorsitzende Kreuser hat die Arisierung außerdem auch an anderen Stellen rückgängig zu machen versucht. Zum einen durch ein jüdisches Mitglied im Vorstand und zum anderen durch die Einfügung von Zielen in die Satzung, die dem alten Stiftungsinteresse in gewandelter Zeit näherkommen wollten: »die Unterstützung von Bestrebungen und Vorhaben, die der Verständigung und dem Zusammenleben von Menschen jüdischer und anderer Konfession dienen«. Ein Ansinnen, das der Völkerverständigung zwischen Juden und Menschen anderer Konfessionen im Hinblick auf die deutsche Geschichte dienen sollte. Diese und andere Veränderungen sind schließlich in die am 10.02.2003 genehmigte Satzung der Stiftung eingegangen.

Zwischenzeitlich hatte sich die finanzielle Situation der Stiftung wesentlich verbessert und zwar durch eine Reihe von Zustiftungen des Apothekers A. Repp aus Köln und der Familie Hermann und Hannelore Baum aus Leverkusen. Sie ermöglichten, zusammen mit dem wiedervereinigten Stiftungskapital, eine Wiederaufnahme der Stiftungstätigkeit. So konnte der damals schon als Geschäftsführer amtierende Kurt Kreuser am 21. Mai 1993 dem Kölner Regierungspräsidenten mitteilen, dass sich das Stiftungsvermögen inzwischen so weit entwickelt habe, dass die Stiftung mit der Vergabe von Stiftungsmitteln beginnen könne. Dies geschah zunächst im sozialen und Studien fördernden Bereich. Ab 2004 weisen die Jahresberichte wieder regelmäßige Zuteilungen an jüdische Personen und Projekte aus, die ein zentraler Teil der ursprünglichen Stiftungszwecke waren.

Nach dem Ausscheiden von Frau Kreuser übernahm 2002 die Rechtsanwältin Frau Juliane Doose die Geschäftsführung als stellvertretende Vorsitzende, Vorsitzender wurde Herr Gabriel Berger und als weiteres Mitglied verblieb Kurt Kreuser.
Im Jahr 2007 wurde der Vorstand neu besetzt mit Prof. Dr. Karl E. Grözinger (Vorsitzender), RA Juliane Doose (Stellvertretene Vorsitzende und Geschäftsführerin) sowie Gabriela Fenyes (bis 2016).
Ihr folgte 2016 bis 2024 Lala Süsskind, ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, als stellvertretende Vorsitzende. Im Februar 2024 übernahm die Kunsthistorikerin Dr. phil. Sarah Hadda den Posten als Stellvertretende Vorsitzende. 2017 schied Juliane Doose aus dem Vorstand aus und Beatrice Magnus-Wiebel übernahm als Vorstandsmitglied die Geschäftsführung der Stiftung.

Erst dann war die Zeit gekommen, die Stiftung aus ihrem der Arisierung geschuldeten Exil wieder nach Berlin zurückzuführen. Dies wurde 2015 beschlossen und ist im Jahr 2018 umgesetzt worden. Als einen Akt der »Wiedergutmachung« und als Zeichen für eine gemeinsame Zukunft und Zusammenarbeit hat die Stiftung Stadtmuseum Berlin der Ephraim Veitel Stiftung im ehemaligen Stammhaus der Familie Ephraim, dem wiedererrichteten Ephraim Palais in Berlin-Mitte, Sitz und Gastrecht gewährt.

Das rekonstruierte Ephraim Palais im Nikolaiviertel in Berlin 2019 / Ansicht der Fassade / Foto: Manuela Lintl
Blick aus dem Stiftungsbüro im Ephraim Palais auf das Knoblauchhaus, Museum Nikolaikirche, Rothes Rathaus und Fernsehturm/ Foto: Manuela Lintl
Blick aus dem Stiftungsbüro im Ephraim Palais auf das rekonstruierte Geschäftshaus der Firma Ca. Schubert, Museum Nikolaikirche, Rothes Rathaus und Fernsehturm/ Foto: Manuela Lintl

VI. Rückkehr der Stiftung nach Berlin

Mit dem Umzug von Bonn nach Berlin im Jahr 2018 gab es nicht nur den weiteren Wechsel im Vorstand der Stiftung (an die Stelle von Juliane Doose trat Frau Beatrice Magnus-Wiebel), sondern darüber hinaus wurde eine Revision der Satzung nötig und durchgeführt, welche den aktuellen Zielsetzungen der Stiftung entspricht.