»Leopold Zunz und Abraham Geiger als Vorkämpfer für die Reform des jüdischen Gottesdienstes«
Soirée mit Vortrag, Lesung, Musik und Gespräch
Am 22. November 2022, von 19.00 - 21.30 Uhr
Location
zlb, Berlin-Saal
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Breite Str. 36, 10178 Berlin
Eintritt frei
In der Veranstaltung im Herbst 2022 hielt Dr. Klaus Herrmann (Freie Universität Berlin, Institut für Judaistik) einen Vortrag zum Thema »Reform und Wissenschaft im Judentum des 19. Jahrhunderts. Leopold Zunz und Abraham Geiger als Vorkämpfer für die Reform des jüdischen Gottesdienstes«.
Die Anfänge der jüdischen Reformbewegung und das Aufkommen der Wissenschaft des Judentums stehen in einem engen inneren Zusammenhang, sind doch ihre Protagonisten weithin identisch. Auch wenn die Tätigkeit von Leopold Zunz (1794-1886), dem eigentlichen Begründer der Wissenschaft des Judentums, als Prediger am Beerschen Reformtempel in Berlin und damit seine aktive Rolle in der Reformbewegung eine recht kurze Zeitspanne umfasste, so hat er doch zeit seines Lebens die Modernisierung der religiösen Praxis, gerade auch wie sie von Abraham Geiger (1810-1874), dem wohl bedeutendsten Reformrabbiner des 19. Jahrhunderts, vertreten wurde, kritisch begleitet.
Im dem Vortrag ging es jedoch weniger um die Wissenschaft des Judentums als solcher oder um bestimmte Aspekte von Zunzens und Geigers ausgesprochen vielseitigen wissenschaftlichen Tätigkeiten als vielmehr darum, dass die jüdische Reformbewegung sowie die Wissenschaft des Judentums im Kontext protestantischer Mehrheitskulturen entstanden sind.
Auch die Biographien von Zunz und Geiger stehen in diesem Spannungsfeld zwischen der Anziehungskraft der protestantisch geprägten Mehrheitskultur und ihrem Antagonismus gegen den Geltungsanspruch dieser Leitkultur, wobei sich dieses Spannungsfeld seinerseits in heftigen, zwischen Zunz und Geiger geführten Kontroversen über Wissenschaft und Reform im Judentum entladen konnte. Für den Vortrag haben daher auch die Lebenserinnerungen, die Privatkorrespondenzen sowie wenig beachtete und zum Teil noch unedierte Archivalien Berücksichtigung gefunden, die in nuce die inneren Konflikte um die Neudefinition jüdischer Identität in der Moderne zeigen und bisweilen einen starken Anpassungsdruck an die protestantische Mehrheitskultur zum Ausdruck bringen. Die Familiengeschichte der Ephraims in Berlin lässt nur zu gut erkennen, wie sehr dieser Anpassungsdruck als Konversionsdruck wirken konnte.
Im Blick auf die Reform ging es in dem Vortrag vor allem um jüdische Gebetbücher, Predigten, jüdische Konfirmationen für Jungen und Mädchen, Katechismen und, nicht zuletzt, um Orgel und Chorgesang. Für die musikalische Modernisierung des jüdischen Gottesdienstes im 19. Jahrhundert stehen vor allem die Namen der großen jüdischen Komponisten Salomon Sulzer (1804-1890) in Wien und Louis Lewandowski (1821-1894) in Berlin, die die synagogale Musik bis heute in entscheidender Weise geprägt haben. Doch als die Reform in Seesen im Jahre 1810 begann, gefolgt von Berlin (1815) und Hamburg (1817), war Lewandowski noch nicht geboren und Sulzer gerade einmal sechs Jahre alt. Die Neuorientierung des synagogalen Gesangs an protestantischen Chorälen in der Frühphase der Reform sowie die von Sulzer und Lewandowski forcierte Rückkehr zur traditionellen, wenngleich dem europäischen Zeitgeschmack angepassten Synagogalmusik haben diesen Vortrag musikalisch umrahmt.
Vortrag: Dr. Klaus Herrmann, Freie Universität Berlin, Institut für Judaistik
Lesungen: Claus-Dieter Fröhlich
Musik: Alte und neue Aufnahmen auf Schallplatte und CD
Fotos: Matthias Reichelt
Eine Kooperation der Ephraim Veitel Stiftung mit der Stiftung Stadtmuseum, Berlin
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