Lesser Ury: Bildnis Abraham Geiger, um 1905, Pastell auf Pappe, Abb. gemeinfrei (http://www.zeno.org/nid/20004346084)

»Leopold Zunz und Abraham Geiger als Vorkämpfer für die Reform des jüdischen Gottesdienstes«

Soirée mit Vortrag, Lesung, Musik und Gespräch
Am 22. November 2022, von 19.00 - 21.30 Uhr
Location
zlb, Berlin-Saal
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Breite Str. 36, 10178 Berlin
Eintritt frei

In der Veranstaltung im Herbst 2022 hielt Dr. Klaus Herrmann (Freie Universität Berlin, Institut für Judaistik) einen Vortrag zum Thema »Reform und Wissenschaft im Judentum des 19. Jahrhunderts. Leopold Zunz und Abraham Geiger als Vorkämpfer für die Reform des jüdischen Gottesdienstes«.

Die Anfänge der jüdischen Reformbewegung und das Aufkommen der Wissenschaft des Judentums stehen in einem engen inneren Zusammenhang, sind doch ihre Protagonisten weithin identisch. Auch wenn die Tätigkeit von Leopold Zunz (1794-1886), dem eigentlichen Begründer der Wissenschaft des Judentums, als Prediger am Beerschen Reformtempel in Berlin und damit seine aktive Rolle in der Reformbewegung eine recht kurze Zeitspanne umfasste, so hat er doch zeit seines Lebens die Modernisierung der religiösen Praxis, gerade auch wie sie von Abraham Geiger (1810-1874), dem wohl bedeutendsten Reformrabbiner des 19. Jahrhunderts, vertreten wurde, kritisch begleitet.

Portrait Leopold Zunz, vermutlich von Moritz Daniel Oppenheim, gemeinfrei (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=494741)
Portrait Leopold Zunz, vermutlich von Moritz Daniel Oppenheim, gemeinfrei (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=494741)

Im dem Vortrag ging es jedoch weniger um die Wissenschaft des Judentums als solcher oder um bestimmte Aspekte von Zunzens und Geigers ausgesprochen vielseitigen wissenschaftlichen Tätigkeiten als vielmehr darum, dass die jüdische Reformbewegung sowie die Wissenschaft des Judentums im Kontext protestantischer Mehrheitskulturen entstanden sind.
Auch die Biographien von Zunz und Geiger stehen in diesem Spannungsfeld zwischen der Anziehungskraft der protestantisch geprägten Mehrheitskultur und ihrem Antagonismus gegen den Geltungsanspruch dieser Leitkultur, wobei sich dieses Spannungsfeld seinerseits in heftigen, zwischen Zunz und Geiger geführten Kontroversen über Wissenschaft und Reform im Judentum entladen konnte. Für den Vortrag haben daher auch die Lebenserinnerungen, die Privatkorrespondenzen sowie wenig beachtete und zum Teil noch unedierte Archivalien Berücksichtigung gefunden, die in nuce die inneren Konflikte um die Neudefinition jüdischer Identität in der Moderne zeigen und bisweilen einen starken Anpassungsdruck an die protestantische Mehrheitskultur zum Ausdruck bringen. Die Familiengeschichte der Ephraims in Berlin lässt nur zu gut erkennen, wie sehr dieser Anpassungsdruck als Konversionsdruck wirken konnte.

Lesser Ury: Bildnis Abraham Geiger, um 1905, Pastell auf Pappe, Abb. gemeinfrei (http://www.zeno.org/nid/20004346084)
Lesser Ury: Bildnis Abraham Geiger, um 1905, Pastell auf Pappe, Abb. gemeinfrei
(http://www.zeno.org/nid/20004346084)

Im Blick auf die Reform ging es in dem Vortrag vor allem um jüdische Gebetbücher, Predigten, jüdische Konfirmationen für Jungen und Mädchen, Katechismen und, nicht zuletzt, um Orgel und Chorgesang. Für die musikalische Modernisierung des jüdischen Gottesdienstes im 19. Jahrhundert stehen vor allem die Namen der großen jüdischen Komponisten Salomon Sulzer (1804-1890) in Wien und Louis Lewandowski (1821-1894) in Berlin, die die synagogale Musik bis heute in entscheidender Weise geprägt haben. Doch als die Reform in Seesen im Jahre 1810 begann, gefolgt von Berlin (1815) und Hamburg (1817), war Lewandowski noch nicht geboren und Sulzer gerade einmal sechs Jahre alt. Die Neuorientierung des synagogalen Gesangs an protestantischen Chorälen in der Frühphase der Reform sowie die von Sulzer und Lewandowski forcierte Rückkehr zur traditionellen, wenngleich dem europäischen Zeitgeschmack angepassten Synagogalmusik haben diesen Vortrag musikalisch umrahmt.

 

Vortrag: Dr. Klaus Herrmann, Freie Universität Berlin, Institut für Judaistik
Lesungen: Claus-Dieter Fröhlich
Musik: Alte und neue Aufnahmen auf Schallplatte und CD

Den gesamten Vortrag lesen (PDF)

Fotos: Matthias Reichelt


Eine Kooperation der Ephraim Veitel Stiftung mit der Stiftung Stadtmuseum, Berlin


Gefördert durch die Lotto Stiftung Berlin


Archivalie Universität

Die erste jüdische Universität in Berlin (1856)

Ein Vortrag von Prof. Dr. Karl E. Grözinger, Vorsitzender der Ephraim Veitel Stiftung, mit Lesungen und Musik - 4. Soirée der Ephraim Veitel Stiftung

  • Ort: Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin
  • Termin: Samstag, 9. Oktober 2021


Die erste jüdische Hochschule Berlins wurde 1856 von den Stiftungen der Hofjuweliersfamilie Ephraim gegründet, und zwar nachdem die Berliner Universität die Einrichtung eines Lehrstuhls oder von Dozenturen für jüdische Geschichte und Literatur ablehnte, trotz einer Finanzierungszusage der Ephraimschen Stiftungen. An der „Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt“ unterrichteten und studierten berühmte Gelehrte der Wissenschaft des

Vorlesungsankuendigunng in der AZ des Judenthums 1862
Abb. Vorlesungsankündigung in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums, 9. September 1862

Judentums wie Leopold Zunz, Moritz Steinschneider, Theodor Haarbrücker, Abraham Geiger und Fürchtegott Lebrecht. Studenten der Lehranstalt wie Salomon Schechter, Claude Montefiori, Ignaz Goldziher oder Immanuel Loew wurden zu den führenden Köpfen des Judentums. Ein berühmter christlicher Student war der spätere Professor Hermann Leberecht Strack, er war der Begründer des „Institutum Judaicum“ an der Berliner Universität.

 

Thema des Vortrags ist die Begründung der ersten Berliner jüdischen Hochschule nach universitären Kriterien, die im Blick auf Lehrkräfte und Studierende die Mutterinstitution der späteren Hochschule für die Wissenschaft des Judentums war. Der Umwandlung des schon vor 1774 von Veitel Heine Ephraim gegründeten traditionellen Bet ha-Midrasch in eine akademische Einrichtung ging ein zwanzigjähriges Ringen innerhalb der Stifterfamilie voran, die zum Teil das Christentum annahm, sowie nach außen mit den preußischen Behörden, der Berliner Universität und den Gelehrten der Wissenschaft des Judentums.

Dies wird detailreich anhand bisher kaum beachteter Quellen der ehemals preußischen Archive in Berlin und Brandenburg dargestellt. Akten aus den Archiven beschreiben die Anliegen der jüdischen Antragsteller, die Reaktionen von Universität und Ministerien und die Unsicherheiten der frisch getauften Ephraims im Ringen mit ihren dem Judentum treu gebliebenen Verwandten und Partnern. Die aus den historischen Dokumenten erkennbaren Debatten beleuchten die religiösen, kulturellen, traditionsgebundenen und modernistischen Kräfte, von welchen die damalige Berliner Judenschaft zerrissen war und aus denen schließlich die Scheidewege zwischen Orthodoxie, Reform und Apostasie hervorgingen.

Begleitet wurde der Vortrag von musikalischen Beiträgen aus der Zeit, die zwischen dem Klesmer Michael Gusikow, Kantoralem und Stücken von Mendelssohn und Meyerbeer variieren.

Orgel: Dr. Jakub Sawicki, Dom-Organist am Berliner Dom
Gesang: Isidoro Abramowicz, Kantor und Musikdirektor der Synagoge Pestalozzistraße-Berlin, Jüdische Gemeinde zu Berlin
Lesungen: Kim Bormann, Schauspielerin


Vortrag
Prof. Dr. Karl E. Grözinger
Die erste jüdische Universität in Berlin (1856)

Thema des Vortrags ist die Begründung der ersten jüdischen Hochschule Berlin – die 1856 von den Stiftungen der Hofjuweliersfamilie Ephraim gegründet wurde – nach universitären Kriterien, die im Blick auf Lehrkräfte und Studierende die Mutterinstitution der späteren Hochschule für die Wissenschaft des Judentums war.

Den gesamten Vortrag lesen (PDF)

Fotos: Matthias Reichelt


 

Die Soirée fand statt in Kooperation der Ephraim Veitel Stiftung mit der Stiftung Stadtmuseum, Berlin und im Rahmen der bundesweiten Veranstaltungsreihe „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ (#2021JLID).
Weitere Information dazu unter: https://2021jlid.de/


Wissenschaftliche Blätter aus der Veitel-Heine-Ephraim'schen Lehranstalt in Berlin

Die erste jüdische Universität in Berlin

Der Eröffnung der ersten universitären jüdischen Hochschule Berlins im Jahre 1856 gingen mehr als zwanzig Jahre des Niedergangs, des Suchens, Irrens und der Zurückweisungen voraus. Das 1774 gestiftete Lehrhaus Beth Midrasch hatte seine Attraktivität verloren, das Engagement neuer Lehrer aus dem Umkreis der neuen Wissenschaft des Judentums kam nicht richtig in Gang, Versuche mit christlichen Theologen mussten auf Geheiß der Behörden alsbald abgewiesen werden, die Einbeziehung in die neu gegründete Berliner Universität wurde harsch zurückgewiesen bis schließlich der Durchbruch als eigenständige Hochschule gelang. Sie wurde eng mit dem Unterrichtsrhythmus der Universität verzahnt, forderte dieselben hohen Zugangsbestimmungen und engagierte nur akademisch gebildete und promovierte Dozenten, darunter auch Professoren der Universität. Die Hochschule trug den Namen Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt. Das ungeklärte Ende kam zwischen 1927 und 1930.

Die Ephraim Veitel Stiftung finanzierte zusammen mit der Veitel Heine Ephraim‘schen Stiftung die Dozenten und die Buchankäufe. Der Lehrvertrag zwischen dem herausragenden Begründer der Wissenschaft des Judentums, Dr. Leopold Zunz, und der Ephraim Veitel Stiftung hat sich im Zunz-Archiv erhalten. Er legt die strengen akademischen Bedingungen der Lehre an dieser Hochschule fest:

Der Herr Dr. phil. Zunz verpflichtet sich:

§ 1
A. die rabbinische Litteratur d.h. alle Werke, welche seit dem Schlusse des Canons des alten Testaments in der aus dem Hebräischen und Aramäischen hervorgegangenen Gelehrten-Sprache der Juden und von der Hand der Letzteren geschrieben sind, und die damit in unmittelbarem Zusammenhange stehenden Hilfswissenschaften in rein philologisch archäologischer Weise, und zwar durch Vorträge über rabbinische Litteratur und aus derselben wobei die heilige Schrift, Talmud, Midrasch und Commentare in erster Reihe stehen, zu lehren, fördern und pflegen. […]

§ 2
Das Semester des Unterrichts schließt sich dem der hiesigen Universität an, und hat der Herr Dr. Zunz wenigstens zwei Monate vor dem jedesmaligen Semester eine genaue Anzeige über die von Ihm im nächsten Semester vorzutragenden Gegenstände unter Angabe der Zeit den Curatoren in triple schriftlich zu machen, und dann nach erhaltener schriftlicher Genehmigung Seitens der Curatoren diesen Plan zu befolgen, wenigstens so lange als bis ihm die Curatoren eine Abweichung davon gestatten.

Die für das Berliner Judentum höchst aufschlussreiche Geschichte dieser »Lehranstalt« ist bisher nur in Ansätzen erforscht (siehe K. E. Grözinger, Die Stiftungen der preußisch-jüdischen Hofjuweliersfamilie Ephraim und ihre Spuren in der Gegenwart, Wiesbaden 2009). Die Grundlage für weitere Erforschung der Hochschule und der gesamten Aktivitäten der Hofjuwliersfamilie Ephraim und ihres wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Umfeldes wird durch ein digitales Archiv geschaffen, das gegenwärtig vom Vorsitzenden der Ephraim Veitel Stiftung, Prof. Dr. Karl E. Grözinger, in Kooperation mit dem Lehrstuhl Neuere Geschichte (deutsch-jüdische Geschichte) an der Universität Potsdam unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Brechenmacher erarbeitet und dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Über den Fortgang dieser Arbeiten und wichtige Funde werden wir regelmäßig an dieser Stelle informieren.

K. E. Grözinger – Januar 2020

Wissenschaftliche Blätter aus der Veitel-Heine-Ephraim'schen Lehranstalt in Berlin

Abb. Vorschaubild:
Wissenschaftliche Blätter aus der Veitel-Heine-Ephraim’schen Lehranstalt in Berlin
Verlagsort: Berlin | Erscheinungsjahr: 1862 | Verlag: [s.n.]
Bayerische Staatsbibliothek, München, Signatur: Hbh/Pz 7850-1
Reihe: Wissenschaftliche Blätter aus der Veitel-Heine-Ephraim’schen Lehranstalt in Berlin
Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10814296-8